Über den Todestag und die Todesumstände von Ernst Holtzhausen berichtet die Regimentsgeschichte des 246. Reserve-Infanterie-Regiments:
„Gegen Abend des 23. Oktober traf von dem Brigadekommandeur der Befehl ein, Regiment 246 habe mit dem Regiment 244 Reutel anzugreifen. Der Angriff wurde aber auf 24. Oktober vor Tagesanbruch verschoben. Der Morgen des 24. Oktober 1914 brach trüb und neblig an. Seit den frühesten Morgenstunden kreuzten sich die Geschosse der beiderseitigen Artillerien über den Gräben. Heute sollte Reutel und die englische Stellung endgültig in deutschen Besitz kommen. Die eigenen Schützengräben wurden auf Befehl des Regiments (Freiherr von Varnbühler) eingeworfen, sodass nur noch eine Brustwehr für liegende Schützen auf dem gewachsenen Boden stehen blieb. Also ein Zurück in die eigenen Gräben gab es nicht.
Ein Regimentsbefehl von damals lautete: Das Regiment greift morgen, rechter Flügel am Wege Reutel-Ypern, den westlichen Teil von Reutel im Anschluss an Regiment 244 (rechts), sowie die Waldstücke südlich von Reutel an und setzt sich in den Besitz des Westrandes dieser Waldstücke, welche von den vordersten Abteilungen zu besetzen sind. Zu dem Angriff tritt das I. Bataillon, welches den Anschluss hat, unter Zuteilung der Pionier-Kompanie 54 um 6 Uhr morgens an. Angriffsziel westlicher Teil von Reutel und dreihundert Meter südlich davon. Links davon greift das II. Bataillon die Waldstücke in drei- bis vierhundert Meter Ausdehnung an. Das III. Bataillon ohne 12. Kompanie wird dem Regiment vom Brigadeführer zur Verfügung gestellt und folgt noch aufgeschlossen hinter der Mitte des Regiments, bereit, beim I. und II. Bataillon einzugreifen.
Zum Angriff sind die Gewehre zu entladen, Seitengewehre sind aufgepflanzt. Anschluss hat der linke Flügel des Regiments. Lautloses Vorgehen zum sorgfältig angesetzten Angriff ist Vorbedingung für sein Gelingen. Beim nächtlichen Durchschreiten der Wälder auf kurze Entfernung hinter der Schützenlinie geschlossene Trupps.
gez. Freiherr von Varnbühler
Bei stockdunkler Nacht erhoben sich die Bataillone auf der Höhe am Westrand von Becelaere und gingen zum dritten Male gegen Reuten und die südlich davon liegenden Waldstücke vor. Entschlossenheit lag auf allen Gesichtern. Heute sollte uns die Siegespalme nicht entrissen werden. Auch die Artillerie war über unser Vorgehen genau unterrichtet. Die feindliche Hauptstellung lag bereits unter schwerem deutschem Feuer. Der Sturm der Gruppe Roschmann begann. Doch auch der Engländer war auf der Hut. „Royal-Scos-Fusiliers“ und das „Yorkshire-Regiment“ verteidigten Flanderns Boden. Beide Regimenter mit alter Tradition und berühmt aus vielen Kolonialkriegen.
Das Vorgehen des Regiments 244, das den Anschluss hatte, hatte sich verzögert. Es war inzwischen heller Tag geworden. Rasendes Feuer empfing das Regiment 246 gleich zu beginn seiner Vorwärtsbewegung. Es lichteten sich die vorderen Reihen. Aber unaufhaltsam ging es vorwärts gegen die feindliche Linie, die von der schwäbischen Sturmwoge überflutet wurde. Das III. Bataillon hatte sich am Wege Zwaanhoek-Reutel entlang gezogen und drang von Norden her mit gefälltem Bajonett und schlagenden Tambours mit gellendem Hörnerklang in die feindliche Stellung ein. Ein blutiges Handgemenge entspann sich. Durch den Angriff des III. Bataillons entlastet, erhoben sich auch das I. und II. Bataillon und stürzten sich nun gemeinsam auf den Feind. Der Gegner, soweit er in seinen engen, tiefen Gräben standhielt, wurde niedergemacht, der Rest gefangen genommen. 540 Mann und 18 Offiziere fielen den 246ern in die Hände, dazu eine stattliche Zahl Gewehre, Munition, Schanzzeug, sowie ein Maschinengewehr. Reutel war in unserer Hand. Der Sieger drang ohne weiteren Widerstand in die südlich und südwestlich des Dorfes liegenden Waldstücke bis an den Reutelbach vor. Das befohlene Ziel war erreicht. Regiment 244 war nördlich der Straße Reutel-Ypern rasch vorwärts gekommen, drang im Anschluss an das Regiment 246 tief in den Polygonwald ein, verließ ihn aber kurz darauf wieder, um auf die Höhe nördlich Reutel zurückzugehen. Die unserem Regiment durch diese Rückwärtsbewegung drohende Gefahr wurde sofort erkannt und deshalb mit allen Mitteln von unserem Regimentskommandeur veranlasst, dass diese zum Stehen gebracht wurde, was dicht am Ostrande des Polygonwaldes gelang. Die Stellung des Regiments war hierdurch ziemlich bedroht. Die Anschlusstruppen rechts und links waren etwa vierhundert Meter zurück, es entstand so eine Lücke von fünfhundert Metern. Da die Verluste in den letzten Tagen außerordentlich groß waren, verfügte das Regiment über keinerlei Reserven mehr, bis zum letzten Mann war alles eingesetzt. Trotzdem erging der strenge Befehl, die Stellung unter allen Umständen zu halten.
Der Feind hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefasst, seine Führung übersah die Lage halbwegs. Mit neuen Truppen setzte ein Gegenstoß aus dem gegenüberliegenden Polderhoekpark ein, der kraftvoll vorgetragen wurde. Er zerschellte aber an der deutschen Linie.
Bei Einbruch der Dunkelheit meldete sich Leutnant Kammerer mit dem Radfahrerzug des Reserve-Jäger-Bataillons 26 als Unterstützung. Das Detachement wurde sofort zur Sicherung der rechten Flanke in Stellung gebracht.
Das Jägerbataillon 26 befand sich als Brigade-Reserve am 24. Oktober 1914 bei Terhand. Bei der Führung herrschte kein klares Bild über die Lage. Als daher das Gerücht nach hinten gelangte, dass die feindlichen Gegenangriffe erfolgreich gewesen wären und der Engländer Bedelaere wieder genommen hätte, wurden die Jäger alarmiert und nach Becelaere in Marsch gesetzt. Als sich die Nachrichten als falsch erwiesen, kehrte das Bataillon wieder nach Terhand zurück. Nur der Zug Kammerer blieb beim Regiment. Hier wurde der Anfang gemacht zu einer treuen und aufopfernden Waffenkameradschaft zwischen den Jägern 26 und den 246ern. Die Lücke auf dem rechten Flügel wurde nun gegen Abend ebenfalls geschlossen. Die Brigade setzte dort die Reste des III./247 unter Oberleutnant der Reserve Keller ein. Auf einen anscheinend missverstandenen späteren Brigadebefehl rückte das Bataillon jedoch wieder am hellichten Tage unter großen Verlusten durch feindliches Infanterie-Feuer aus der Stellung ab und sammelte sich in Becelaere.
Die vom Regiment nunmehr zu haltende Stellung am Reutelbach hatte eine Ausdehnung von tausend Metern.
Über den Sturm am 24. Oktober 1914 schreibt ein Angehöriger des III. Bataillons:
„Es war am 23. Oktober 1914 abends. Wir lagen bei Reutel eingeschanzt hinter einem zerschossenen hause, als unser Zugführer die Nachricht brachte: „Morgen früh wird auf der ganzen Front angegriffen.“ Sofort machten wir das Sturmgepäck fertig, fassten noch reichlich Lebensmittel und begaben uns dann zur Ruhe. Am andern Morgen traten wir Punkt 5½ Uhr links der Straße Reutel-Ypern in Gruppenkolonne an und gingen dann im Halbdunkel möglichst gedeckt vor. Wir erhielten sofort lebhaftes Feuer vom Gegner, das sich immer mehr steigerte, je weiter wir vorgingen. Leider fingen jetzt schon einige Leute an, Hurra zu rufen, obwohl wir noch mehr als hundert Meter von der anglischen Stellung entfernt waren. Alles stimmte dann in den Ruf mit ein. Die Folge davon war, dass wir rasendes Infanterie- und Maschinengewehr-Feuer erhielten. Instinktiv suchte jetzt der einzelne nach Deckung hinter den an der Straße liegenden Häusern, und so kam der Angriff auf einige Augenblicke ins Stocken. In dichten Knäueln standen die Mannschaften hinter jeder nur einigermaßen schutzbietenden Deckung, und alle waren davon überzeugt, dass es so unmöglich weitergehen konnte, zumal auch das Artilleriefeuer sehr lebhaft einsetzte. Die Verluste waren bisher schon stark, konnten aber noch nicht abgeschätzt werden, da auch einzelne Mannschaften anderer Kompanien plötzlich unter uns erschienen waren. Der Führer der 10. Kompanie, Hauptmann Schließmann, war auch unerwartet unter uns aufgetaucht und feuerte uns nun unermüdlich an, vorzugehen. Der Knäuel löste sich nach und nach auf, indem die Leute, zum Teil kriechend, über die Landstraße zu den feindlichen Gräben sich heranpirschten, zum Teil sprungartig heranzukommen versuchten. Die Verluste nahmen zu. Überall lagen die Verwundeten. Aber auch die Wut auf den Gegner steigerte sich bis ins Maßlose. Wie eine Erlösung war es dann, als wir unter lautem Hurra am feindlichen Graben angelangt waren und die Engländer fast ausnahmslos die Waffen wegwarfen und die Hände in die Höhe streckten. Sie hatten noch auf uns geschossen, als wir kaum noch fünf Meter vor ihrem Graben entfernt waren. Und das trug viel dazu bei, dass so mancher Engländer schließlich noch sein Leben durch unsere Bajonette lassen musste. Sofort wurde ein Kommando aufgestellt, das die Gefangenen abführte. Noch einen letzten Blick ließen wir über das furchtbare Schlachtfeld gleiten, und keiner von uns wird diesen Anblick je vergessen können. Zu hunderten lagen die Toten und Verwundeten in allen Stellungen auf- und nebeneinander. Es war ein Anblick, der den Härtesten hätte erweichen müssen, auch sah man manchem Kameraden eine Träne im Auge. Nachdem wir einige Verstärkung erhalten hatten, gingen wir weiter vor und kamen bis an den Rand des vor uns liegenden Polygonwaldes. Das Feuer hatte bedeutend nachgelassen, und unsere Verluste waren jetzt viel geringer. Wir wenigen, die das Glück hatten, ohne jede Verletzung soweit vorzustoßen, verteilten uns längs des Waldrandes und gruben uns sofort ein.“
„Heiß war der Tag und blutig die Schlacht!“
17 Offiziere, 18 Offizier-Stellvertreter, 1.800 Mann, also etwa siebzig Prozent der Gefechtsstärke blieben auf dem Schlachtfeld. Unter den Toten befand sich auch der tapfere Kommandeur des III. Bataillons, Major Holzhausen. Nicht achtend der Gefahr, zog er seinem Bataillon voraus zum Sturm, jedem einzelnen ein Beispiel von Mut und Unerschrockenheit gebend.“