Sonderbeitrag: Hauptmann Hans Witte

Der Soldat Hans Witte stammte aus Blankenburg im heutigen Bundeland Sachsen-Anhalt. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Hauptmann in der 9. Kompanie des 95. Infanterie-Regiment. Am 23.08.1914 fiel er in Belgien an der Westfront bei der Eroberung von Namur. Er wurde bei der Ortschaft Marchevolette und Bouge getötet.

Vermutlich war er Teil eines Kriegsverbrechens. Kurz vor seinem Tod war er an der Tötung von Zivilisten beteiligt, auch wenn die Regimentsgeschichte des 95. Infanterie-Regiments es so darstellt, als haben die getöteten Zivilisten zuvor als Nicht-Kombattanten an der Beschießung von deutschen Soldaten teilgenommen. Nach dem Krieg führten alle unabhängigen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Vorwürfe der deutschen Militärs, Zivilisten hätten an kriegerischen Handlungen teilgenommen und amit ihrerseits gegen das internationale Kriegsvölkerrecht verstoßen, falsch waren.

Angriff auf Namur am 23.08.1914

Über den Todestag und die Todesumstände von Hans Witte berichtet die Regimentsgeschichte des 95. Infanterie-Regiments:

„Angriff auf Namur

Das Regiment wurde hierzu beim Dorf Marchovelette eingesetzt. I./95 kam in vorderste Linie, III./95 und die Maschinengewehr-Kompanie blieben zunächst beim Gut Tierre Cauth in Reserve. II./95 wurde zur Verfügung des Korps im Walde von Fernelemont bereitgestellt.

Etwa 1.000 Meter vor der Stellung des I./95 lag Fort Marchovelette. Es wurde von österreichischen 30,5 Mörsern beschossen. In großen Zwischenräumen wuchsen auf dem Fort die dunklen Rauchpinien der Geschosseinschläge empor. Unter diesem Feuerschutz erreichte das Bataillon ohne Verluste seine Stellung. Nur einzelne schwere Geschosse zogen hoch am Nachthimmel ihre Bahn, um fern mit dumpfem Knall zu zerbersten. Ein Scheinwerfer tastete einige Male unsicher umher. Das flackernde Licht aufsteigender Leuchtkugeln erhellte hin und wieder die Umgebung. Der Feind aber blieb ruhig. So konnte I./95 ungestört am Ausbau seiner Stellung arbeiten, II. und III./95 in ihren Bereitstellungsplätzen ruhn.

Inzwischen hatte General von Gallwitz den Angriff auf die Festung für den 23.08. befohlen. Unter Niederhaltung des Forts Cognelèe und Marchovelette durch schwere Artillerie sollten die zwischen ihnen liegenden Stellungen nach ausgiebiger Feuervorbereitung durch die leichte Artillerie von der Infanterie gestürmt werden.

So begann am Vormittag des 23. August – eines Sonntags – die deutschen Batterien ihr Zerstörungswerk. Anschwellend und wieder abflauend, allmählich aber an Stärke wachsend, steigerte sich das Feuer, bis gegen 12 Uhr mittags ein Orkan von Geschossen im Fort Marchovelette die letzten Grasreste von den Wällen herabfegte, die Gräben verschüttete, die Hindernisse zerschnitt, die Betondecke durchschlug, den Munitionsraum zur Explosion brachte und den naheliegenden Wald von Champion splitternd und krachend zerbrach.

Fort Marchovelette war verschwunden! Eine ungeheure, undurchdringliche Wolke von Staub, Qulm und Rauch verhüllte die Stätte, an der es lag.

Da hörte auf Feindseite jeder Widerstand auf. Frei auf ihren Deckungen standen unsere Leute und staunten dies gewaltige, nie gesehene Schauspiel an. Niemand hinderte sie, kein Schuss von belgischer Seite zwang sie in ihre Gräben zurück. III./95, das um diese Zeit vorgezogen und nördlich des I./95 eingesetzt wurde, gelangte so ohne Verluste in die vorderste Linie.

11.30 Uhr vormittags kam der Befehl zum Sturm. III./95 nahm die 9. und 10., I./95 die 1., 2. und 4. Kompanie hierzu in vorderster Linie. Die Maschinengewehr-Kompanie ging auf einer kleinen Höhe in Stellung, um den Schutz des Vorgehens zu übernehmen. Die Kompanien ordneten sich zum Antreten in der Front mit Pionieren, dahinter Kompanien geschlossen, die Offiziere zum Teil zu Pferd – so wurde 1 Uhr nachmittags angetreten. Niemand hatte sich den Angriff so vorgestellt – niemand auch ihn so wieder erlebt – kein Schuss fiel, ohne Widerstand wurde nahe beim Fort Marchovelette der Wald von Champion erreicht. –

Unmittelbar in seinem Nordostrand befand sich die Stellung der Belgier, ein tiefer Graben, dichte Hindernisse, Unterstände, zahlreiche Geschütze bis in die vorderste Linie vorgeschoben, verlassen, jedoch nicht leer. Haufen von Munition lagen verstreut, Gewehre noch schussfertig auf den Deckungen, dazwischen stapelte Artillerie-Munition, hier lagen einzeln, dort in ganzen Haufen, gefallene Belgier. Durch eine Granate emporgeschleudert, hing eine Leiche in den Ästen der Bäume.

Jenseits des Waldes änderte sich das Bild. Aus Champion pfiffen die ersten Kugeln. Zurückgehende Belgier waren auf den weiten, mit Getreidehocken bestandenen Feldern sichtbar. Vereinzeltes Artillerie-Feuer schlug herüber. Doch die Verfolgung kam nicht zum Stehen. Ohne Aufenthalt stürmte Alles vorwärts.

Während 1. und 3./95 sich auf Moulin â Vent wandten, bog III./95, zusammen mit 2. und 4. Kompanie nach Süden auf Bouge ab, aus dem der Gegner noch feuerte. Als 1. Offizier wurde hier Leutnant von Aulock 4./95, als er mit einer Offizierspatrouille zur Erkundung einer feindlichen Batterie vorging, verwundet. Sprungweise begannen sich die Linien vorzuarbeiten. Da fuhr bei Champion eigene Artillerie auf, um den Angriff zu unterstützen. Nun ging es rasch vorwärts. Weit allen Verfolgern voran, erreichte Hauptmann Witte mit seiner 9. Kompanie Bouge. Aus dem nächsten Hause erhielt er Feuer. Bald barst die verrammelte Tür unter dröhnenden Axtschlägen. Am noch warmen Maschinengewehr fanden sich – Belgier in Zivilkleidern. Sie wurden, nachdem Hauptmann Witte die Lage geklärt, – erschossen. Weiter auf die Kirche eilten die Stürmenden. Da krachten aus einem die Straße abschließenden Hause Schüsse. Zu Tode getroffen, fiel Hauptmann Witte und seine tapferen Begleiter, Gefreiter Vierneusel, Tambour Franz und Reservist Probst. 4 weitere wurden verwundet. Selten erfreute sich ein Offizier bei seinen Kameraden und Untergebenen solcher Liebe und Wertschätzung wie Hauptmann Witte. Selten hatte jemand wie er alle Herzen gewonnen! So war sein Tod für alle, die ihn kannten, ein persönlicher Schmerz. Und so durchdrang das Gefühl, ihn zu rächen, jeden, der von seinem Ende erfuhr. Wo sich in Bouge noch Widerstand zeigte, wurde er ohne Rücksicht gebrochen. Wo aus einem Hause Schüsse fielen, flog ihm der rote Hahn aufs Dach. Prasselnd schlug bald die Lohe der Brände gen Himmel, – und in das Krachen des Gebälks mischte sich das Knattern der Gewehre. – –

II./95 war 11 Uhr vormittags vom Generalkommando näher an die vorderste Linie herangezogen, zum Einsatz jedoch noch nicht freigegeben worden. Es folgte in kurzem Abstand entfaltet dem III. und I./95. Nachdem es Dorf Marchovelette durchschritten, ging es nördlich an dem noch immer beschossenen Fort Marchovelette vorbei. Fast hätte es hier durch eigenes Feuer verluste erlitten. Dicht bei der 7./95, die in Kompanie-Kolonne vorübergehend an der Straße hielt, schlug eine Lage der österreichischen Mörser ein, durch ihre gewaltige Detonation haushoch die Erde emporwerfend. Die nächsten Schüsse mussten nach menschlichem Ermessen die Truppe treffen. Die Leute wurden unruhig, sie wollten ausweichen. Da nahm an Stelle des erkundenden Kompanie-Chefs der Leutnant Graf Baudissin durch festes Kommando die Kompanie in die Hand. Wie auf dem Exerzierplatz führte er sie nach strammem Griff im Gleichschritt von der gefährdeten Stelle.

Im Wald von Champion erhielt II./95 überraschend Infanterie-Feuer. Ein Zug der 7./95 unter Leutnant Lenz wandte sich gegen den Feind, tötete 5 Belgier im Bajonettkampf und nahm den Rest – Angehörige des 1. und 8. beglischen Regiments – gefangen. Jenseits des Waldes wurden Flüchtlinge vom Fort Marchovelette eingebracht. Sie schienen keine Menschen mehr. Die 3tägige Beschießung des Forts hatte sie seelisch völlig gebrochen. Mit irren Augen, kaum der Sprache noch mächtig, baten sie flehend um Gnde. Nach Durchschreiten des Waldes folgte das II./95, jetzt vom Generalkommando freigegeben, nach kurzer Durchsuchung von Champion, dem Regiment nach Bouge.

Hier, auf den Höhen hart nördlich der Maas, hatte das Generalkommando die Verfolgung angehalten. Nur ein Zug der 2./95, schneidig geführt durch Leutnant von Wintzingerode, war bis an den Fluss vorgestoßen und dort nur durch eigenes Artilleriefeuer gehindert worden. Das Regiment selbst ordnete seine Verbände auf der Höhe. Welch ein Anblick bot sich von hier! Im warmen Licht der Abendsonne tief unten das Häusermeer, das silberne Band von Maas und Sambre, und drüben am Berghang, in Felsen gehauen, die trotzigen Mauern der alten Zitadelle. Hoch flatterte über ihr im Abendwind die französische Trikolore. Zu den Höhen von Bouge stieg ein langer, nicht endender Zug gefangener Feinde empor.

Namur war genommen! Im Vollgefühl des Sieges sah jeder hinab auf die eroberte Stadt. 3 Wochen hatten dem Feind zur Verfügung gestanden, die Festung mit Gräben und Hindernissen auszubauen, 3 Tage hatten genügt, diesen Schld zu brechen. Aber noch wehte drüben auf den Mauern trotzig die französische Fahne! Als die Sonne sank, barsten an ihnen die deutschen Granaten und ließen hoch auf des Berges Gipfel die leuchtende Kuppel des Hotel de la Citadelle in Flamen auflodern. Noch lange leuchtete der Brand als Siegesfanal in die Nacht! –

Das Regiment ruhte während der Nacht, Sicherungen bis an die Maas vorgeschoben, in Alarmquartieren in Bouge. Wenn auch die Verluste dieses Kampfes verhältnismäßig gering waren, so wurden sie doch als die ersten doppelt schwer empfunden: 1 Offizier, 4 Mann tot, 1 Offizier, 6 Leute verundet.“

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Man begrub Hans Witte auf dem Soldatenfriedhof Vladslo in Block 9, Grab 791.

Hauptmann Hans Witte

Die Männer des Ersten Weltkriegs – Teil 239: Jakob Hauser

Jakob Hauser war der Sohn eines Landwirtes in Hinterstadl (Pfarrei Mauerberg), heute Teil der Gemeinde Garching an der Alz. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Infanterist in der 10. Kompanie des 17. Infanterie-Regiments. Am 30.08.1914 fiel er bei den Vogesenkämpfen bei Saulcy, Gerbéviller im Alter von nur 21 Jahren. Zunächst war er von offizieller Seite nur als schwer verwundet gemeldet worden. Er wurde auf dem Soldatenfriedhof Gerbéviller in einem Massengrab begraben.

In Wikipedia kann man lesen, dass Ende August 1914 die deutschen Soldaten in Gerbéviller Kriegsverbrechen begangen haben:

Ende August 1914 stieß der Vormarsch der 6. deutschen Armee im Ort Gerbéviller auf starken Widerstand. Wutentbrannt exekutierten die Deutschen daraufhin zivile Einwohner und brannten das Dorf nieder. Die Gemeinde trug danach zeitweise den Namen „Gerbéviller-la-Martyre“.

Ich möchte nicht darüber spekulieren, in wieweit Jakob Hauser an diesen Verbrechen an der französischen Zivilbevölkerung beteiligt war. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass während des Ersten Weltkrieges furchtbare Verbrechen durch deutsches Militär begangen wurden. Es wurde gültiges internationales Völkerrecht gebrochen und kein Verantwortlicher wurde später zur Rechenschaft gezogen. Die Taten blieben ungesühnt.

Um so höher rechne ich es der französischen Nation und den französischen Bürgern an, wie sie nach dem Grauen des Ersten Weltkrieges – aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg – die Verständigung und Versöhnung mit Deutschland suchten.

Verweise auf Verbrechen anderer Nationen – auch französischer Soldaten – spielen für mich keine Rolle. Deutschland ist meine Nation. Ich bin Deutscher. Ich kümmere mich um die Vergangenheit meiner Nation.