Der Soldat Karl Gonnermann stammte aus der hessischen Stadt Kassel. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Leutnant in der 8. Kompanie des 173. Infanterie-Regiment. Am 23.08.1916 fiel er in Frankreich während der Schlacht um Verdun. Er wurde am Dorf Douaumont durch einen Bauchschuss getötet.
Über den Todestag und die Todesumstände von Karl Gonnermann berichtet die Regimentsgeschichte des 173. Infanterie-Regiments:
„Etwa um Mitternacht stiegen die ersten Kompanien des I. und II. Bataillons in derselben Marschordnung wie bisher aus dem Lager Steilhang zu der Höhe des ehemaligen Dorfes Douaumont empor. Sie zogen teils über die Trümmer dieses Dorfes, von dem kein Stein mehr auf dem anderen war, teils rechts daran vorbei. Sie wussten nichts von der Gegend, über die sie tastend dahinstolperten; denn es war stockfinstere Nacht und der Boden unter den Füßen war immer der gleiche: kein Weg, kein Fleckchen Grasnarbe, kein Feldrain oder Graben, sondern nur Trichter neben Trichter, zum Teil mit Regenwasser gefüllt. Auf den Trichterrändern stapfen die schmalen Kolonnen in Schlangenlinie vorsichtig vorwärts, edermann ständig darauf bedacht, den Vordermann nicht aus dem Auge zu verlieren. Langsam geht’s; denn die Trichterränder sind schmal und glitschig, und das schwere Gepäck macht ungelenkig. Langsam; denn immer wieder rutscht irgendwo der Hintermann aus und fällt in einen Trichter, aus dem er unter der Last auf seinem Rücken nur schwer wieder hochkommen kann. Dann gibt es Aufenthalt, denn die Kolonne darf nicht abreißen, weil sonst der Rest führerlos wird. Die dunklen Haufen rechts und links des Pfades mehren sich: unglückliche Kameraden, die in dieser Wüste eine Granate überrascht hat. Ein vorsichtiges Herumgehen ist Alles, was man ihnen an Beachtung schenken kann. Irgendwo in Deutschland forscht eine Mutter, wo ihr Sohn geblieben ist.
Größere Trümmerhügel erläutern die Führer als M-Raum, als I-Raum, als ehemalige Thiaumont-Ferme. Dort (südöstlich der zerstörten Ferme) liegt der I-Raum, der den Stab I/173 beherbergt. – Zuweilen wird es durch eine Leuchtrakete hell wie in einer Vollmondnacht. Dann muss sich alles rasch zusammenducken und regungslos verharren, bis es wieder dunkel wird. Denn der Feind ist vielleicht schon nahe, und wenn er irgendeine Bewegung sieht oder gar die Ablösung bemerkt, dann wird er sie sofort mit Trommelfeuer aufreiben. Aber es geht gut; das Störungsfeuer verstreut sich irgendwohin. – Langsam geht’s weiter, endlos weiter. Nur 1½ bis 2 Kilometer vom Steilhang entfernt liegen die Stellungen, aber Stunden erfordert dieser mühselige Marsch.
Endlich zwischen 2 und 3 Uhr morgens (23. August) erreichen die Kompanien des I. Bataillons ihr Ziel; sie springen hinunter in die Trichter zu den „Hacketäuern“ (Infanterie-Regiment 16), die schon sehnsüchtig auf die Ablösung warten, und verteilen sich nach deren Weisung in die Reihe der anschließenden Trichter. „Da vorn irgendwo liegen die Franzosen, wahrscheinlich in ebensolchen Trichtern. Hier im Rücken, wo die schweren feindlichen Kaliber einschlagen, sind die Trümmer des Thiaumontwerkes. Dahinter liegt die Reserve-Kompanie.“ Das war jetzt die 2/173 unter Hauptmann Büttner. In vorderster Front haben (von rechts nach links) die 3. Kompanie unter Hauptmann Kalbe, die 4. unter Oberleutnant Riepe und die 1. unter Hauptmann Geest die 10., 11. und 12. Kompanie der 16er abgelöst. Die Übernahme der Stellung ist rasch vollzogen; Unterstände sind nicht vorhanden, ebensowenig Materialbestände; hier oder da lässt ein mitleidiger 16er eine nasse Schlafdecke oder ein paar Flaschen Selterwasser zurück, ehe er im Dunkel der Nacht nach hinten verschwindet. Der Feind verhält sich ruhig; er hat nichts von der Ablösung bemerkt.
Nicht so ungestört und unbemerkt vollzog sich der Vormarsch des II. Bataillons. Einzelne, mit 10 Minuten Abstand, in der Kolonne zu Einem rückten die 6., 7. und 8. Kompanie nach vorn, um die Stellung des I./Infanterie-Regiment 16 im Abschnitt D zu besetzen. Die 8. Kompanie sollte den Platz der 1./Infanterie-Regiment 16 am äußersten linken Flügel der 34. Infanterie-Division einnehmen und versuchen, mit dem Infanterie-Regiment 98 am rechten Flügel der 33. Infanterie-Division eine Verbindung herzustellen. Denn hier klaffte seit kurzem eine 300 Meter breite Lücke, die abgesehen von der Möglichkeit eines feindlichen Durchbruchs auch die Gefahr in sich barg, dass eine ablösende Truppe durch sie hindurch dem Gegner in die Arme lief. Störungsfeuer begleitete den Vormarsch der Kompanien, ohne ihnen Verluste beizubringen, vielleicht von Leuchtsignalen irregeführt oder aus Besorgnis vor der Lücke verloren die Führermannschaften ihre Spur. Die Kompanien wurden ratlos. Die 7. Kompanie musste eine Rast einlegen, um sich zu orientieren. Dabei wurde sie von der 8. Kompanie, die erst später abmarschiert war, überholt.
Bei der 7. Kompanie befand sich auch der Bataillonsstab und bemühte sich beim weiteren Vorrücken ebenfalls, die vorderste Trichterlinie festzustellen. Nach langem erfolgsen Suchen traf Major Wülsing endlich auf einen Bataillonsstab des Infanterie-Regiment 57 und stellte in dem Kommandeur zu seiner größten Überraschung seinen eigenen Bruder fest, dessen Bataillon vor zwei Tagen zur Verstärkung der fast aufgeriebenen 16er in diese eingeschoben war. Major Wülsing schrieb darüber:
„Nachdem wir uns von unserm Erstaunen erholt hatten, gab mein Bruder mir den Rat, mich auf meinen Gefechtsstand im M-Raum zu begeben, da es für einen allein unmöglich wäre, die vorderste Trichterlinie festzustellen. Er führte mich auch dorthin und verabschiedete sich mit den Worten: „Hoffentlich hast Du mit Deinem Bataillon mehr Glück als ich; denn von meinen braven Kerls sind nur höllisch wenige übrig geblieben.“ Leider sollte dieser Wunsch für mein II/Infanterie-Regiment 173 nicht in Erfüllung gehen.“
Die 8. Kompanie hatte inzwischen die Trichterlinie der 16er gefunden, aber viel zu weit rechts, wie sie mit Schrecken bemerkte. Es blieb nichts anderes übrig, als links zu schwenken und an den Trichtern entlang sich nach dem linken Flügel zu ziehen. Diese Bewegung blieb in den nahen französischen Gräben nicht unbemerkt. Heftiges Artillerie-, Infanterie- und Maschinengewehrfeuer setzte ein und brachte neue Verwirrung. Alles sprang in den nächsten Trichter, aber Gewehrgranatfeuer langte auch dorthin. Verluste blieben nicht aus. Leutnant Gonnermann wurde, noch ehe er die Trichterlinie erreicht hatte, von einem Gewehrschuss in den Bauch niedergestreckt. Sterbend befahl er seinen Leuten, die ihn zurückbringen wollten, ihn liegen zu lassen und nach vorn zu eilen. Seine Leiche konnte nicht geborgen werden. Wieder hatte die 8. Kompanie und das Regiment den Verlust eines ihrer besten Offiziere zu beklagen. Ein Alterskamerad schrieb in seinen Kriegserinnerungen über den verlorenen Freund:
„Gonnermann war der Typ des harten deutschen Soldaten, spartanisch einfach, streng gegen sich in und außer Dienst, leutselig und kameradschaftlich, willensstark, tapfer und treu bis zu seinem heldenhaften Tode.“
Leutnant der Reserve Rohler gelang es mit etwa 10 Mann seiner Kompanie, die Stellung der 1/Infanterie-Regiment 16 zu erreichen; auch diese bestand nur noch aus dem Kompanieführer, Leutnant der Reserve Boch und wenigen Leuten, die dringend der Ablösung bedurften. Alles Suchen nach Versprengten blieb in dieser Nacht vergeblich. In der Erwartung, dass in der nächsten Nacht sich noch weitere Leute der 8. Kompanie heranfinden würden, beschloss Leutnant Boch erst dann mit dem Rest seiner Kompanie zurückzugehen. 2 Maschinengewehre waren auch noch vorhanden. Nach links hin, wo das Infanterie-Regiment 98 liegen sollte, bestand keine Verbindung. – Bei der 6. und 7. Kompanie war die Ablösung vollzogen. Die 5. Kompanie hatte als Reserve-Kompanie im M-Raum etwa 400 Meter hinter der Stellung Unterkunft gefunden, ebenso der Bataillonsstab.
Der 23. August brach verhältnismäßig ruhig an. Es war ein klarer sonniger Sommertag. Im Abschnitt B konnten die Kompanie- und Zugführer des I. Bataillons vorsichtig in ihrer Stellung Umschau halten. Soweit man sehen konnte, gab es nur Trichter; vereinzelt waren die seitlichen Ränder etwas abgetragen, sodass man auf dem Bauche kriechend gedeckt in den nächsten Trichter gelangen konnte; ganz selten war ein wirklicher Durchstich vorhanden. Richtige Gräben hätten den feindlichen Fliegerphotographen die Besetzung verraten. So war jede Trichtermannschaft auf sich selbst gestellt; die nachbarliche Verständigung geschah durch Zurufe. Die Führer sondierten auf den Trichterrändern zwischen den Erdklumpen hindurch mit dem Fernglase das Vorgelände. Selten gewahrten sie vor sich mehr als das gleiche Bild der Verwüstung. Nur am rechten Flügel der 3. Kompanie sah man über eine Schlucht hinweg bis hinüber zum Pfefferrücken. Dort liefen Gräben an den Hängen entlang und nach rückwärts; man konnte darin mit dem Fernglase die Franzosen erkennen. – Beim II. Bataillon im Abschnitt D war nichts zu sehen. Hier durfte die einzelne Trichterbesatzung überhaupt nicht wagen, den Kopf herauszustecken. Eigenlich hätte hier auf dem sanft zum Feinde abfallenden Hange die Beobachtung gut sein müssen; aber das monatelange Feuer schwerer Kaliber hatte in dieser am meisten umkämpften Gegend die Geländeform völlig verwandelt und zerrissen. Nur der Nachteil war geblieben, für die feindliche Fernbeobachtung des Forts Belleville, St. Michel und Souville und die Fesselballons am Horizont völlig deckungslos auf dem Präsentierteller zu liegen.
Etwa 10 Uhr vormittags setzte auf der ganzen Front der 34. Infanterie-Division Artillerie-Feuer ein, das zunächst nichts Auffälliges an sich hatte. Es steigerte sich aber gegen Mittag, wurde um 1 Uhr äußerst heftig und ging dann rasch in das sogenannte Trommelfeuer über, wie es die Argonnenkämpfer bislang in solcher Stärke noch nicht kennengelernt hatten. Ein ununterbrochenes Heulen und Pfeifen in den Lüften kreuz und quer verband sich mit dem Toben und Krachen von Granateinschlägen aller Kaliber in nächster Nähe zu einem wüsten Höllenkonzert. Der einzelne Einschlag wurde gar nicht mehr bemerkt. Mit dem Gefühl vollkommener Machtlosigkeit hockte Alles in den Trichtern, vom Splitterregen jeder Granate bedroht, und erwartete ständig den Volltreffer in den eigenen Trichter.Die taktischen Überlegungen waren denkbar einfach: Aufpassen nach vorn, wenn das Feuer aufhört oder verlegt wird, und bis dahin Patronen und Handgranaten sparen! Aber vor Dreck und Qualm ist nichts zu sehen. Beruhigend wirkt nur, dass das eigene Artillerie-Feuer gut im Vorfelde liegt. – Von 2 Uhr nachmittags absteigert sich das Trommelfeuer aufs höchste. Gegen 3 Uhr wird es vor Abschnitt C nach rückwärts verlegt und hört im Abschnitt D beim II. Bataillon ganz auf. Im Abschnitt B tobt es weiter, sodass das I. Bataillon von den Vorgängen weiter links nichts beobachtet. Südlich des Thiaumontwerkes, wo den Franzosen die Weinbergschlucht ein Vorrücken in die Sturmstellung erleichtert, geedenken sie die dünne und lückenhafte deutsche Trichterlinie durchbrechen zu können. In dichten Massen stehen sie plötzlich auf der Böschung ihrer Gräben (denn sie haben hier Gräben), um zum Sturm anzutreten. Aber die Trichterbesatzung des II. Bataillons sind auf dem Posten und treiben sie mit Gewehren und Maschinengewehren in ihre Gräben zurück. Nach Norden reicht die Front dieses ersten Angriffes bis vor den linken Flügel der 1. Kompanie, der noch mit Handgranaten sich an der Abwehr beteiligte.
Franzosen, die die Wirkung ihres Feuers zunächst offenbar überschätzt hatten, setzten sofort wieder rasendes Trommelfeuer gegen die 3 Abschnitte ein, um die deutsche Widerstandskraft vollends zu zermürben. Vor Abschnitt B hatte es überhaupt noch nicht aufgehört. Bis 5 Uhr nachmittags tobt die Hölle weiter; schwere Verluste vermehrten und vergrößerten die Lücken in den deutschen Reihen. Dann erhoben sich die Franzosen vor den Abschnitten C und D erneut aus ihren Gräben zum Sturme. Aber im Abschnitt C hielt das II/Infanterie-Regiment 16 dem Angriff stand und auch das II/Infanterie-Regiment 173 im Abschnitt D konnte den Gegner mit Gewehren, Maschinengewehren und Handgranaten vor seiner Front zum Stehen bringen. Selbst auf dem äußersten Flügel, wo ohne Anschluss nach links Leutnant Rohler und Leutnant Wirth mit wenigen Leuten der 8. Kompanie und Leutnant Boch mit den Resten der 1/Infanterie-Regiment 16 die Stellung hielten, gelang es zunächst mit Hilfe der beiden Maschinengewehre, die Franzosen zurückzuhalten.
Aber dieser zweite feindliche Angriff holt über den linken Flügel der 34. Division, den die 8/Infanterie-Regiment 173 bildete, weiter nach Osten aus und stieß in die berüchtigte Lücke nördlich von Fleury. Hier hatte, nachdem am 18. August durch vernichtendes Trommelfeuer die 130er und 135er in den Trümmern von Fleury aufgerieben waren und die ablösenden Kompanien vom Infanterie-Regiment 98 und Infanterie-Regiment 144 eine neue Trichterlinie hinter dem ehemaligen Dorf besetzt hatten, die 5/Infanterie-Regiment 98 nach langen Irrungen in der Nacht zum 20 August die Reste der 1/Infanterie-Regiment 130 ebgelöst, war dabei aber links gestaffelt vom Abschnitt D in der Lücke zwischen den Flügeln der 34. und 33. Infanterie-Division liegengeblieben, zu schwach und außer Stande, diese Lücke auszufüllen.
Auf diesen Punkt stieß jetzt (etwa 6 Uhr abends) der zweite feindliche Angriff, und es war kein Heldenstück der Franzosen, die schwache und vereinsamte 5/Infanterie-Regiment 98 zu überwinden.
„Links von uns beim Infanterie-Regiment 98 war der Einbruch gelungen“ schrieb Leutnant Rohler später über diesen Unglückstag seiner 8/Infanterie-Regiment 173. „Wir beobachteten, dass viele 98er als Gefangene abgeführt wurden. Die Franzosen rückten an unserer Stellung vorüber und konnten uns in kurzer Zeit von der Flanke und dem Rücken her bedrohen. Um diese Gefahr abzuwenden, sollte das linke Maschinengewehr flankierend eingreifen. Aber nachdem es herumgeworfen war, versagte es, und bald darauf traten auch bei dem anderen Maschinengewehr Hemmungen ein. Damit war das Schicksal der beiden Restkompanien besiegelt: die Franzosen stürmten vor, waren bald an unseren Trichterrändern und warfen Handgranaten in unsere sich verzeifelt wehrenden Gruppen. Unser Handgranatenvorrat war bald erschöpft. In dichten Massen stand der Gegner vor uns, und wir waren nur noch eine Handvoll Leute. Einige, die versuchen nach rückwärts zu entkommen, wurden sofort niedergeschossen. Leutnant Boch, einige Leute und ich warfen uns hin, und die Franzosen marschierten über uns hinweg, wohl annehmend, dass wir Tote wären. Der Angriff reichte nach rechts einige Meter über unseren Kompanie-Abschnitt hinaus. – Nach einigen Minuten kam ein zweiter Trupp Franzosen, die in unserer Stellung aufräumten und uns als Gefangene abführten. Nach wenigen Schritten waren wir in der französischen Stellung. Dort fanden wir ein völlig ausgebautes Grabensystem vor, das fast nirgendwo durch Artillerie-Feuer beschädigt war…Am anderen Morgen trafen wir in irgendeinem Unterkunftsraum noch etwa 35 Mann unserer Kompanie. Sie waren beim Anmarsch durch Lücken in unseren Linien hindurchgegangen und so dem Feinde in die Finger gefallen…“ –
Die Franzosen wagten sich nicht weiter vor, da die übrigen Kompanien noch hinreichend widerstandsfähig waren. Aber die Lücke klaffte nun natürlich noch weiter als ehedem, und auch sonst hatten arge Verluste die Trichterreihe des II. Bataillons allenthalben zerrissen. Noch am späten Abend wurde deshalb die 5. Kompanie links von der 6. eingesetzt. 4 Gruppen mit einem Maschinengewehr wurden zur Sicherung gegen Fleury vorgeschoben. Erst nach Mitternacht flaute das feindliche Artilleriefeuer ab.“
Die Lage des Grabes von Karl Gonnermann ist unbekannt.